In dem anderen Ansatz…
Ein Beispiel…
Der Vorteil des Mentoring-Ansatzes…
Men|tor [griechisch; nach dem Lehrer des Telemach, des Sohnes des Odysseus]: erfahrener Ratgeber, Helfer, Anreger.
Mentoring-Ansätze gibt es in vielen Bereichen und in sehr unterschiedlicher Form, z.B. an den Universitäten, in der Politik und in der Wirtschaft. Im sozialen Bereich sind Mentoringprojekte tatsächlich vor allem für und mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund verbreitet – allerdings müssen dabei zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze unterschieden werden.
Viele Mentoringprojekte richten sich an Migrantenjugendliche, die MentorInnen haben aber in der Regel nicht selbst einen Migrationshintergrund. Die meisten dieser Projekte basieren auf dem ehrenamtlichen Engagement von Menschen, die dafür die zeitlichen (und finanziellen) Möglichkeiten haben, also vor allem RentnerInnen. Im Idealfall können diese ihre Mentees an ihrem großen Erfahrungsschatz teilhaben lassen, und sie beziehen ihre Autorität aus ihrem Alter und der Lebenserfahrung. Besonders bewährt haben sich allerdings Projekte, in denen die Jugendlichen im Gegenzug auch etwas zurückgeben können, wie z.B. Computerkenntnisse.
In dem anderen Ansatz, der auch in dieser Broschüre im Vordergrund steht, wird dagegen die Ähnlichkeit zwischen MentorInnen und Mentees betont. Die MentorInnen sind in der Regel nur einige Jahre älter als die Mentees, sie sollen gerade nicht auf derselben Ebene wahrgenommen werden wie Eltern und LehrerInnen, sondern eher wie ältere Geschwister oder Cousins. Diese jungen MentorInnen sind dennoch als „ErfahrungsexpertInnen“ und Rollenvorbilder vorgesehen, sie haben etwas bereits erfolgreich hinter sich gebracht, das bei den Mentees gerade erreicht werden soll – nämlich einen guten Schulabschluss zu erreichen.
Dies basiert auf einer im Prinzip sehr einfachen Beobachtung: Häufig schneiden besonders Kinder mit Migrationshintergrund dann in der Schule deutlich besser ab, wenn sie ältere Geschwister haben. In Migrantenfamilien kann dieser Faktor von besonderer Bedeutung sein, weil die Geschwister mit ihrem Vorsprung an Schulerfahrung zumindest teilweise ausgleichen, was die Eltern an Wissen über die Schule und an eigenen Bildungserfahrungen nicht einbringen können.
Deshalb haben die MentorInnen in diesem Ansatz, wenn es irgend geht, denselben oder einen sehr ähnlichen Migrationshintergrund wie die Jugendlichen. Das bedeutet, dass nicht nur die Schulerfahrungen vergleichbar sind, sondern auch das soziale Umfeld und die biografische Erfahrung, ein Kind von Einwanderern aus einem bestimmten Land und mit einem bestimmten kulturellen Hintergrund zu sein.
Für die Unterstützung der Jugendlichen ist dies vor allem aus zwei Gründen wichtig: Erstens haben viele SchülerInnen das Gefühl, dass die Tatsache „AusländerIn“ zu sein – so ist tatsächlich der vorrangige Sprachgebrauch unter den Jugendlichen – einen Einfluss auf ihre Position an der Schule und die Leistungen bzw. ihre Beurteilung hat. Zweitens sind auch die konkreten Schulerfahrungen bei gleichem Hintergrund häufig verblüffend ähnlich, die Mentees können deshalb die MentorInnen sehr gut als ErfahrungsexpertInnen annehmen.
Ein Beispiel:„Sie hat mir gleich am ersten Tag erzählt, dass sie genau wie ich – ich war ja früher auf dem Aufbaugymnasium und musste dann abgehen – und bei ihr war das auch so ähnlich, sie war auch auf dem Aufbaugymnasium, und dann hat sie das nicht mehr geschafft. Und alle Bekannten und Freunde von ihr meinten dann so, ja du schaffst das nicht, finde einfach einen Ausbildungsplatz beim Friseur oder werd‘ Arzthelferin oder sowas. Aber als sie das alles so gehört hat und so, dachte sie, ja weil ihr das alle jetzt so sagt, will ich das jetzt andersrum machen und schaff das halt. Und dann hat sie das alles geschafft, so aus Trotz. Das fand ich richtig gut halt bei ihr, dass sie dann so weit gekommen ist. Dass sie jetzt studiert und so. Ja, und da hab ich gedacht, wenn sie das kann, dann kann ich es ja vielleicht auch schaffen.“ (Yeliz, 15 Jahre)
Drittens erleichtert die gemeinsame Muttersprache den Kontakt und das Gespräch mit den Eltern der Mentees. Das ist auch deshalb wichtig, weil das Mentoring im Prinzip bei den Mentees zuhause stattfindet. Und selbst wenn fehlende Deutschkenntnisse eigentlich nicht das Problem sind, so nimmt der gemeinsame Migrationshintergrund viel von der möglicherweise vorhandenen kulturellen Verunsicherung gegenüber „deutschen“ MentorInnen weg.
Mentoring kann sich im Prinzip an drei verschiedene Schülergruppen richten: so genannte High Potentials, durchschnittliche SchülerInnen und so genannte „RisikoschülerInnen“. Für High Potentials macht Mentoring Sinn, wenn die Vermutung besteht, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – Schulleistungen unter ihrem Niveau erreichen und ein höherer Schulabschluss (Abi oder Fachabi) nicht selbstverständlich erscheint. Bei „RisikoschülerInnen“ kann Mentoring dazu beitragen, Schulabgänge ohne Abschluss zu verhindern oder sogar einen Realschulabschluss anzustreben. Bei den durchschnittlichen SchülerInnen geht es in der Regel um einen möglichst guten Abschluss oder sogar – wenn möglich – den Übergang in die gymnasiale Oberstufe.
Der Vorteil des Mentoring-Ansatzes gegenüber klassischer Nachhilfe liegt in der Flexibilität der Antwortmöglichkeiten auf die tatsächlichen Probleme in der Schule. In aller Regel sind es nicht allein die mangelnden Fachkenntnisse in Mathematik, Englisch oder Deutsch, manchmal sind die sogar überhaupt nicht das Problem. Mangelndes Selbstbewusstsein, fehlende Motivation oder Perspektivlosigkeit, Stress mit den Eltern, ungerechte Behandlung durch LehrerInnen, Liebe, Zukunftsangst, keine Lernmöglichkeiten zuhause – die Bandbreite möglicher Faktoren, die gerade in den entscheidenden Schuljahren der Klassenstufen 8, 9 und 10 eine ungünstige Abwärtsspirale in Gang setzen können, ist sehr groß.
Mentoring erstreckt sich im Prinzip auf drei verschiedene Arten der Begleitung:
1. sozial-emotionale Begleitung,
2. Nachhilfe,
3. Orientierung im Hinblick auf die weitere Schullaufbahn und berufliche Perspektiven.
Besonders in sozial-emotionaler Hinsicht fungieren die MentorInnen für die Mentees als Rollenmodelle und Ratgeber, die sie dazu befähigen sollen, ihre eigenen Lösungsstrategien und -wege zu entwickeln. Dazu gehört Selbstbewusstsein ebenso wie eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Potenziale. Das gilt im Prinzip auch für die Begleitung in den jeweiligen Fächern, in denen Nachhilfe nötig ist. Auch fachdidaktisch gesehen sollen die Mentees lernen, Fehler zu machen, aber gleichzeitig aus ihnen weiterführende Schlüsse zu ziehen. Zum Mentoring gehört deshalb auch die Vermittlung von allgemeinen Fähigkeiten, wie Lernen lernen und komplexe Sachverhalte zu systematisieren. Nachhaltige Lernerfolge sind allerdings unwahrscheinlich, solange die Mentees keine konkreten Lernziele haben bzw. nicht wissen, wozu sie Anstrengungen überhaupt auf sich nehmen sollen. Unterstützung bei der Erkennung der eigenen Fähigkeiten und Neigungen gehört zur Mentor-Mentee-Beziehung ebenso dazu wie Orientierungshilfen mit Blick auf das Bildungsalternativen und die Entwicklung beruflicher bzw. sonstiger Lebensperspektiven.